Abenteuer und Trauer in Namibia: 1 Kreuz, 10l Wasser, 10kg Zement

„Wer einen geliebten Menschen verliert, für den bricht die Welt zusammen. Wir definieren uns im großen Maße über unsere Bindungen zu Eltern, Partnern, Freunden und Bekannten. Doch wer trauert, wandelt sich.“ Ich habe lange um einen Menschen getrauert, den ich kennen, schätzen und lieben gelernt habe. Manch einer wird sich fragen, was diese Erfahrung mit meinem Engagement in Namibia zu tun hat, und ich werde antworten: Alles!
– ein persönlicher Beitrag von Gründer Volkan Sazli

Der Hausberg der Farm Ababis: Der Zipfelberg

Ich dachte mir, dass ich in so jungen Jahren nicht so schnell mit diesem Thema konfrontiert werden könnte. Wie soll mich schon der Tod treffen, wie soll er mich kriegen, wie will er mir auf den Geist gehen? Er nimmt mir Martina Stöcker. Meine Klassenlehrerin aus Krefeld, aus der eine enge Freundschaft wurde, nachdem ich 2009 mit meiner Familie nach Köln zog.

Namibia – Land des Friedens

Martina verbrachte jeden Sommer in Namibia und hat auf der Ababis Gästefarm residiert, einer Farm im Süden Namibias – sie versäumte nie, mir von ihrem Aufenthalt zu berichten, mich für Land, Leute und Tiere zu begeistern und meine Liebe für Namibia in mir zu erwecken. Ob per Mail, per Postkarte oder persönlich direkt nach ihrer Rückkehr. Und so kam es irgendwann auch wie es kommen musste: Martina fragte mich im Jahr 2010, ob ich denn Lust hätte, sie auf ihrer jetzt kommenden Reise zu begleiten. Sie wäre mir finanziell auch entgegenkommen. Und doch lehnte ich die Einladung ab, weil ich diese Reise auch mit ihrer Unterstützung nicht hätte finanzieren können. Und ehrlicherweise fehlte mir etwas Mut. So zog sie allein gen Süden los – in die weite ferne Afrikas. Auf ihre letzte Reise. Danach war nie wieder etwas, wie es einmal war.

Der erlösende Anruf!

In ihrer letzten Mail aus Namibia bekundete sie noch ihre Sorge um mich, ich hätte an der Loveparade teilgenommen, auf der 2010 etliche Menschen ihr Leben verloren. Sie bat mich ihr ein Zeichen zu geben, ob alles in Ordnung sei. Zeitgleich berichtete sie mir, dass sie die Ruhe vor Ort genießt und sich ihr Tank wieder mit ganz viel Lebensenergie füllt. Schließlich war sie Lehrerin – sie brauchte eine Menge Lebensenergie. Die Leidenschaft für ihren Beruf aber hat sie nie verloren. Nach dieser Mail erhielt ich keine Antwort mehr, wartete Tage und Wochen. Bis dann der Anruf kam: Martina habe einen schweren Autounfall in Namibia gehabt und sie sei querschnittsgelähmt. Sie würde wohl nie wieder gehen können. Meine kleine perfekte Welt stoppte. Sie wollte sich nicht mehr drehen. Ich brach in Tränen aus. Die Sommerferien waren vorbei und ich entschied, sie schon am nächsten Tag zu besuchen – auf einer Station, von der ich bis dato nur gehört hatte, aber nie dachte sie selbst besuchen zu müssen. Ich sah sie auf dem Bett liegen, schlich mich an sie ran, nahm ihre Hand und war mit der Situation überfordert. Um sie herum befanden sich so viele Schläuche – selbst in ihrer Lunge, die zu der Zeit nicht selbstständig atmen wollte. Wenige Minuten später sollte ich den Raum verlassen, damit sie sich ausruhen könne. Ich verließ das Zimmer und werde nie wieder vergessen, wie sehr ich meinen Schmerz unterdrücken musste – ich presste meine Hand gegen meinen Mund und weinte schreiend wie noch nie in meinem Leben. So laut, dass es meinen Schmerz in diesem Moment betäubte.

Der Tod war für mich ein Märchen!

Sie lebte. Martina lebte! Ich brauchte eine Zeit, um das zu begreifen. Als ich es dann begriff, musste ich lernen mit dem Tod umzugehen. Als sei das alles nicht genug. Martina war ein Jahr in ihrem Rollstuhl gefangen und ich spürte, wie sie immer mehr aufgab. Sie wollte nicht mehr – wo war nur die taffe, lebenslustige und starke Frau hin, die ich einmal kannte? In ihr sah ich all die Hoffnung, alles in meinem Leben erreichen zu können. Sie glaubte immer an mich und meine Ziele, meine kleinen naiven Hoffnungen, die ich hatte. Sie hat nie an mir gezweifelt. Ich hätte ihr öfters sagen sollen, dass ich sie noch brauchen werde in meinem Leben. Aber es war zu spät, denn sie verließ mich und ließ mich zurück auf diesem Planeten.

Sie starb über Nacht friedlich an einer Lungenentzündung zu Hause in ihrem eigenen Bett. Später hörte ich, dass es ihr Wunsch war zu gehen. Sie wollte noch das kleine bisschen Kontrolle über ihr Leben an sich reißen und selbstbestimmend den Kampf aufgeben und den letzten Atemzug vollziehen. Sie erlöste sich von ihrem Körper, in dem sie gefangen war.

Ich verlor einen geliebten Menschen, eine Freundin, eine Weggefährtin, einen Mentor. Ich verlor einfach alles in diesem Moment – jeglichen Halt und jede naive Sicherheit, die ich dachte zu haben und die mich vor solchen tragischen Nachrichten beschützen würde. Der Tod war für mich ein Märchen – weit von mir entfernt und doch so nah. Ich war traurig, aber auch unfassbar wütend und enttäuscht. Ich nahm ihr übel, dass sie mich hier hat stehen lassen. Sie hinterließ eine große Narbe in meinem Herzen. Irgendwann aber kam der Zeitpunkt, an dem ich diesen Verlust akzeptieren musste. Ich lernte mit dem Kummer zu leben – ich gab ihm einen Platz in meinem Leben. Ich lernte, darüber zu reden und mich mitzuteilen. Sie hat bis heute einen verdammt großen Platz in meinem Leben eingenommen, den sie niemals hergeben muss und den sie für immer behalten darf. Denn sie hat eine noch wichtigere Funktion in meinem Leben eingenommen. Sie ist mein Schutzengel, der mich beschützt und durch mein Leben begleitet.

Martina Stöcker: 27.02.1954 – 29.08.2011

Voller Liebe und Hoffnung auf eine bessere Welt!

Nach dieser schrecklichen Erfahrung wurde mir das Zwischenmenschliche immer wichtiger, das Geben und Nehmen bekam an Gewicht und Bedeutung, Achtsamkeit und Empathie spielten eine noch größere Rolle in meinem Verhalten und der Mensch und seine Bedürfnisse rückten immer mehr in den Vordergrund. Damit verbunden wuchs auch der Wunsch mich in Form eines Freiwilligendienstes in Namibia zu engagieren, um dadurch Land und Leute intensiver kennenlernen zu dürfen und das weiterzugeben, was ich durch Martina in Massen erhalten habe – Liebe und Freundschaft. Sie hat mich in meiner Denkweise und meinem Verhalten sehr geprägt und ich habe vieles von ihr und durch sie lernen dürfen. „Doch wer trauert, wandelt sich“. Ich danke ihr für die kurze Zeit, die ich mit ihr hatte und dafür, dass ich durch sie die Möglichkeit erhielt, etwas noch Größerem nachzugehen. Ich absolvierte 2014/15 einen einjährigen Freiwilligendienst mit dem Deutschen Roten Kreuz und dem BMZ und gründete anschließend den Verein „Tangeni Shilongo Namibia e.V.“ – all unsere Vereinsarbeit widme ich meiner verstorbenen Freundin, in Gedenken aber auch in voller Liebe und Hoffnung auf eine bessere Welt für alle.

„Aus den Augen, aus dem Sinn“, oder? Ich hatte oft die Angst, dass ich sie plötzlich vergessen könnte, dass ich nicht mehr so oft an sie denken würde, weil sie einfach nicht mehr da ist. Ist das nicht der Lauf der Dinge? Nicht für mich – da war ich mir sicher, denn sie hatte mein Leben gezeichnet. Wie könnte ich das jemals vergessen? Und doch trat es ein – plötzlich vergingen nur Tage, dann Wochen, ohne dass ich an sie dachte. Und doch ist sie meine größte Motivation und ich rede mir oft zu, dass sie jetzt stolz auf mich wäre, auf das, was ich mache und mit meinem großartigen Team bewirke. Daher wollte ich ihr signalisieren, dass sie niemals in Vergessenheit geraten wird und habe ihr die letzte Ehre erwiesen: Ein Platz auf dem Zipfelberg. Ich widme ihr also nicht nur die Sicht auf die Weite Namibias, sondern 10kg Zement, 10l Wasser und ein Kreuz als Symbol.

Mission erfüllt

„Der Zipfelberg bekam seinen Namen aufgrund des unübersehbaren Zipfels. Die Spitze des Berges liegt auf 1472 Metern. Vom Fuß bis zum Zipfel misst der Berg 333 Höhenmeter.“ Auf dem Weg nach oben wurden wir besonders durch mehrere Herden Bergzebras belohnt, die unseren Weg kreuzten, von der atemberaubenden Landschaft ganz zu schweigen. Wir haben für den Hin- und Rückweg bis zum Zipfel und zurück 4 Stunden gebraucht, die sich aber allein für die Aussicht auf die Weite Namibias sehr gelohnt haben. Ich danke den Gästefarmbesitzern (Ababis Gästefarm) Kathrin und Uwe für ihre Verbundenheit, die sie mir durch ihre Gastfreundschaft erwiesen haben und ihr Einverständnis, das Kreuz auf den Zipfelberg stellen zu dürfen.

Der Zipfel des Berges ist unübersehbar.

Danke an meine Mit-Gründerin des Vereins und geschätzte Freundin Malina John, die mir dabei geholfen hat diese Mission zu starten und zu beenden. Damit hat sie nicht nur Martina, sondern auch mir eine große Ehre erwiesen. Danke für eine unermüdliche Freundschaft, für Höhen und Tiefen, für’s Lachen und Weinen, für’s Lieben und Leben. „Von allen Geschenken, die uns das Schicksal gewährt, gibt es kein größeres Gut als die Freundschaft – keinen größeren Reichtum, keine größere Freude.“

Menschen kommen. Menschen gehen. Nichts ist für immer.