Gastfreundliches Owamboland – Von Corona keine Spur
Namibia-Touristen staunen regelmäßig darüber, wie westlich geprägt Städte wie Windhoek oder Swakopmund sind. Die Region nördlich des Etosha-Nationalparks bekommen Touristen dagegen eher selten zu Gesicht. Das sogenannte Owamboland ist touristisch im Vergleich zum Rest des Landes kaum erschlossen. Eine Reise dorthin lohnt sich aber. Die beiden TSN-Gründer Malina und Volkan haben die 800km weite Strecke auf sich genommen – gemeinsam mit Beatha Shilongo. Malina berichtet von einer Reise, die für sie ganz neue Erfahrungen brachte.
Trotz Corona-Pandemie will die deutsche Politik Kindergärten um jeden Preis offenhalten. In Namibia sind die Kitas dagegen schon lange zu. Um weiterarbeiten und Geld verdienen zu können, hat Beatha Shilongo aus dem Township (Bezeichnung für Armenviertel) DRC in Swakopmund ihre beiden Söhne zu ihrer Mutter in den Norden Namibias geschickt. Dort wachsen die beiden aktuell also bei ihrer Oma auf – mitten in der namibischen Feuchtsavanne in einem sauberen und gesunden Umfeld. Währenddessen verkauft Beatha in ihrem kleinen Haus an der Hauptstraße im Township Fisch, Fleisch und süße Teigbällchen – sogenannte „Fatcakes“. Jetzt endlich aber das Wiedersehen: Gemeinsam mit Beatha reisen Volkan und ich in den Norden Namibias, um die beiden kleinen Jungs, Tangeni und Jonas, endlich wiederzusehen.
Viel zu spät kommen wir am Tag der Abreise am Haus von Beatha im Township an, um sie abzuholen – ganz nach dem Motto „Namibian Time“, denn: Auf Pünktlichkeit legen nur wenige Namibier wert. So wundert es uns auch nicht, dass auch Beatha verspätet am Treffpunkt ankommt. Sie hat sich für den Tag extra die Haare machen lassen und freut sich wie wir auf die Reise. Während wir warten, versammelt sich die halbe Nachbarschaft um ihr kleines Häuschen. Alle verabschieden sie, dann geht es endlich los.
Abends – es ist schon dunkel – kommen wir an unserer Zwischenstation in der Stadt Otjiwarongo an. Eigentlich wollen wir hier spontan in einem Camping-Zelt die Nacht verbringen, doch erst hier erfahren wir, dass es in Otjiwarongo keine Campingplätze gibt. Statt im Auto zu schlafen, entscheiden wir uns, für die Nacht doch lieber in einem gemütlichen Gästehaus einzuziehen. Vor allem Beatha freut sich über die geräumige Dusche, denn bei sich zuhause hat sie kein fließendes Wasser.
Am nächsten Morgen fahren wir früh weiter – am Nachmittag würden wir endlich das Haus von Beathas Mutter erreichen und Tangeni und Jonas wiedersehen! Aufgeregt darüber, was uns am Ziel unserer Fahrt erwarten würde, löchern wir Beatha mit Fragen, die sie uns alle geduldig beantwortet: Wir erfahren, dass Beathas Mutter, Meme Anna, allein in ihrem Haus in einem Dorf in der Nähe von Ondangwa lebt. Meme ist Oshiwambo und bedeutet Mutter. Ihr Ehemann verbringt die meiste Zeit in Swakopmund und kommt nur über Weihnachten ins Dorf. Zurzeit jedoch hat sie die Kinder bei sich, ihre jüngste Tochter Nelau und Beathas Söhne. Dort hat sie ihre eigenen Ziegen und Hühner, pflanzt Mahangu – eine Getreide-Sorte – und passt außerdem auf die Rinder ihres Ehemannes auf.
Meme Anna hat sich bereits am frühen Vormittag mit den Kindern in die nächstgrößere Siedlung aufgemacht, um uns abzuholen. Am Telefon erzählt sie, dass Tangeni sich auch schon freut. Für ihn ist Volkan wie ein Vater, denn seinen biologischen Vater hat er nie kennengelernt. Als wir am Nachmittag in der Siedlung Onayena ankommen, hat Meme Anna schon eine ganze Weile auf uns gewartet und sie strahlt, als sie uns sieht. Sie ist stolz und überglücklich, dass wir den weiten Weg in den Norden nur für ihre Familie auf uns genommen haben. Tangeni wirkt schüchtern, aber er begrüßt uns auf Englisch! Wir sind genauso stolz wie seine Großmutter, dass der gute Kindergarten, in den er geht, sich auszahlt und er nun nicht nur in seiner Muttersprache Oshiwambo, sondern auch in der namibischen Amtssprache Englisch sprechen kann. Sein kleiner Bruder Jonas hingegen hat sich mit seinen zwei Jahren immer noch nicht dazu entschieden zu sprechen. Stattdessen unterhält er sich mit Händen und Füßen und gibt glückliche Laute von sich.
Nach den ersten Begrüßungen gehen wir erst einmal in den Supermarkt. Das Dorf ist abgelegen, Meme Anna hat kein Auto und wer einmal in der Stadt ist, muss die Gelegenheit nutzen. Außerdem wollen wir Gastgeschenke mitbringen – denn es ist unhöflich mit leeren Händen im Dorf zu erscheinen. Während ich Jonas auf dem Arm habe und Tangeni und Nelau hinter uns her rennen, packen Beatha und Meme Anna kiloweise Zucker, Maismehl, Nudeln und Süßigkeiten in den Einkaufswagen. Meme Anna will den Zucker später an die Nachbarn verteilen. Es dauert, bis wir den Supermarkt wieder verlassen können. Um Corona-Regeln kümmert sich hier keiner. Das Virus scheint in diesem Teil Namibias weit entfernt und viele glauben, es existiere nicht mehr – wenn es überhaupt mal existiert habe. Wir haben dennoch brav unsere Masken im Supermarkt auf.
Als wir alles ins Auto laden, kommen spontan noch ein paar Menschen hinzu, die eine Mitfahrgelegenheit ins Dorf brauchen. Beatha, die Kinder und ein weiterer Mann mit Baby passen auf die Rückbank, doch Meme Anna und eine Freundin müssen sich zwischen den Einkäufen und der Campingausrüstung Platz im großen Kofferraum des Geländewagens schaffen. Wir lassen ihnen ein Fenster offen, damit es nicht zu stickig wird, dann geht es los über eine staubige Schotterpiste, bis wir die ersten Holz- und Wellblech-Häuser erreichen. Dort lassen wir unsere Mitfahrer aussteigen. Meme Anna und ihre Freundin sind voller Staub – von ihrer dunklen Hautfarbe ist kaum noch was zu sehen. „Shilumbu“ – das ist das Oshiwambo-Wort für Weiße – und genau so sehen sie jetzt auch aus. „Kein Problem“, sagt Meme Anna auf Englisch, während sie sich den Staub abwischt. „Wir sind hier in Namibia. Den Staub sind wir gewohnt.“
Ohne unsere Mitfahrer, geht es weiter zu Meme Annas Haus. Wir fahren ein paar Kilometer durch tiefen Sand, nur die Spuren der anderen Autos zeigen, wo es lang geht.
Meme Annas Haus ist nicht das, was wir uns in Europa unter einem Haus vorstellen, aber es gehört auch nicht zu den selbstgebauten Wellblechhäusern, die wir aus dem Township kennen. Ihr Haus ist riesig: Dicke Holzpflöcke und Wellblech begrenzen es – Meme Anna hat damit einen großen Vorhof gebaut. Ein Weg führt links in die Küche – ein großer Platz unter freiem Himmel mit einer überdachten Feuerstelle. Ein weiterer Weg bringt uns in den Vorhof zu ihrem Schlafzimmer. Dieses Zimmer ist tatsächlich ein Haus wie wir es kennen, mit mehreren Räumen und Betten für sich und die Kinder. Die Dusche ist ebenfalls unter freiem Himmel dahinter, ein kleiner abgetrennter Bereich, der vor Blicken schützt und in dem eine große Wanne für das Duschwasser steht. In den Freiluftzimmern laufen und scharren Hühner glücklich umher und Ziegen und Rinder sind gerade irgendwo im Busch grasen.
Meme Anna schickt nach den Nachbarskindern, um ein Huhn fürs Abendessen zu fangen, das sie extra uns zu Ehren zubereiten will. Die Nachbarn sind weit verstreut, denn jedes Haus braucht genug umliegendes Buschland als Futter für die Tiere. Als die Kinder schließlich ankommen, beginnen sie sofort die „Jagd“. Kreischend flattern die Hühner über die Zäune von Meme Annas Haus, die Kinder verfolgen sie. Volkan und ich sind bei der Jagd zwar mit dabei, aber die Kinder sind viel schneller als wir. Nach ein paar Minuten ist das Huhn schließlich erschöpft und die Kinder können es fangen. Stolz bringen sie es zu Meme Anna, die ihm die Füße fesselt, damit es nicht abhauen kann. Dann winkt sie uns, ihr zum Wasserholen zu folgen. Die Wasserstelle ist gut 15 Minuten Fußmarsch entfernt.
Die Kinder folgen uns. Die Wasserleitung wird von der Regierung bereitgestellt und die Dorfbewohner können sich hier an einem Hahn Wasser abfüllen. Meme Anna balanciert den 10 Liter fassenden Wasserkanister problemlos auf dem Kopf. Ich versuche es auch, doch ich stelle mich wohl etwas ungeschickt an, denn schon bald nimmt mir ein Mädchen den Kanister wieder ab. Bei unserer Rückkehr ist es schon fast dunkel und Meme Anna macht sich sogleich ans Kochen.
Wir verbringen leider nur wenige Tage im Dorf, doch diese werden wir nie vergessen. Es gibt nicht viel zu tun im Busch und so ist der Großteil der Zeit bestimmt von Essen und Faullenzen. Wir spielen mit den Kindern, mit Meme Annas Hundewelpen und dem jungen Kätzchen, das sie erst neulich zu sich geholt hat. Die Kinder sind begeistert von der Kamera, sodass es immer wieder Foto-Shootings gibt. Ob beim Rumliegen, beim Sandburgenbauen oder bei unseren Spaziergängen, auf denen sie uns begleiten und nebenher noch etwas Holz sammeln. Hinterher schauen wir uns die Bilder gemeinsam an und sie sind ganz fasziniert. Wir müssen versprechen, sie in Swakopmund auszudrucken und Beatha für ihren nächsten Besuch im Norden mitzugeben. Sie alle wachsen uns sehr ans Herz und wir genießen die Zeit aus vollen Zügen – nur Volkan hat ein Problem. Wo soll man bitte schön fernab jeder Toiletten sein Geschäft verrichten? Doch nach zwei Nächten wird der Druck im Darm auch für ihn zu groß und mit einer Klopapierrolle bewaffnet stapft er mutig in den Busch. Danach schmecken auch Meme Annas Fatcakes wieder richtig gut.
Die Zeit vergeht wie im Flug und wir sind traurig schon so bald auf Wiedersehen sagen zu müssen – auch wenn wir froh sind, dass uns in nächster Zeit kein Hahn mehr bei Sonnenaufgang aus dem Schlaf reißen wird.
Auf der Heimfahrt fahren wir mit Beatha zusammen noch durch das auf dem Weg liegende Touristen-Highlight Namibias: Den Etosha-Nationalpark. Der Park ist ungefähr so groß wie das Bundesland Hessen und schützt jede Menge Tiere, egal ob Löwen, Zebras, Elefanten oder Giraffen. Für Beatha ist es der erste Besuch in dem Nationalpark und sie ist sehr aufgeregt.
Kurz bevor wir Swakopmund wieder erreichen, ruft Meme Anna noch einmal bei Beatha an. Sie erzählt, dass die Kinder bereits nach uns fragen und der Hund und die Katze draußen vor dem Haus sitzen und auf uns warten. Auch wir vermissen alle schon und es steht fest – wir kommen wieder.